Eingeschleppte Arten machen sich besonders in Europa breit
Infolge der Globalisierung steigt die Zahl nicht heimischer Tier- und Pflanzenarten in sehr vielen Regionen der Welt stark an. Oft richten die Neuankömmlinge Schaden an - nicht nur in ökologischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wissenschaftler:innen der Universität Wien arbeiten an Vorhersagemodellen, die die Zahl künftiger Bioinvasoren möglichst genau abschätzen und Szenarien möglicher Auswirkungen liefern sollen.
Der Asiatische Marienkäfer hat sich innerhalb kurzer Zeit bei uns ausgebreitet, und er ist nicht der einzige Neuankömmling. Berechnungen zufolge werden fremde Tier- und Pflanzenarten bis 2050 um 65 Prozent zunehmen und Europa zur Top-Destination von Bioinvasoren machen. Quelle: Reinhold Möller, CC BY-SA 4.0
Der Großteil der Marienkäfer in Mitteleuropa sind Einwanderer. Denn der Asiatische Marienkäfer ist mittlerweile die häufigste Art, die man heute in unseren Breiten findet. Ursprüngliche heimische Arten wurden dagegen mehr und mehr zurückgedrängt. Eine andere vom Menschen eingebrachte Art ist der Westliche Maiswurzelbohrer. Er war einst nur in Mittelamerika beheimatet, hat sich nun aber nicht nur am nordamerikanischen Kontinent, sondern auch in Europa ausgebreitet. Er richtet in der Landwirtschaft dieser Regionen beträchtlichen Schaden an. In vielen europäischen Gärten ist mittlerweile auch der Buchsbaumzünsler bekannt, ein kleiner Schmetterling aus Ostasien. Die Raupen der eingewanderten Art haben die unerfreuliche Angewohnheit, die namensgebenden Buchsbäume kahl zu fressen.
Diese drei Bioinvasoren haben gemeinsam, dass sie recht neu in Europa sind. Doch obwohl sie erst ab den 2000er-Jahren in größerer Anzahl nachgewiesen wurden, sind die von ihnen verursachten Auswirkungen bereits beträchtlich. Für Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien sind sie nur die Spitze des Eisberges: "Wir sehen in den letzten 20 Jahren eine rasante Zunahme von Neobiota, also durch menschliche Aktivität eingeschleppte Arten - in Mitteleuropa, aber auch in den meisten anderen Weltgegenden", erklärt der Ökologe. Im FWF-Projekt "AlienScenarios" entwickelt Essl gemeinsam mit einem internationalen Team Prognosemodelle, die abschätzen lassen, wie stark die Anzahl invasiver Spezies im Laufe des 21. Jahrhunderts weltweit anwachsen wird. Die resultierenden Szenarien sollen unter anderem zu einer Grundlage für künftige UN-Zielvorgaben im Bereich Biodiversität werden - dem sogenannten "Post-2020 Biodiversity Framework".
Güterverkehr und Klimawandel als Einflussfaktoren
Die rasante Zunahme der Bioinvasoren in den vergangenen Jahrzehnten ist einer Reihe von Gründen geschuldet. "Der Güterverkehr hat immens zugenommen, darunter auch der Flugverkehr, der viel mehr Spezies erlaubt, die Reise zu überstehen - so etwa dem Maiswurzelbohrer. Dazu kommt der Klimawandel, der Einfluss auf die Ökosysteme hat. Die Ausbreitung vieler neuer Arten wird zudem durch Veränderungen in der Landnutzung begünstigt", zählt Essl Einflussfaktoren auf. Bereits 2017 konnte der Ökologe als Teil eines internationalen Forschungsteams in einer im Fachjournal Nature Communications publizierten Studie nachweisen, dass die Zahl der belegten Neobiota weltweit seit 1970 stetig zunimmt - mit durchschnittlich bis zu 1,5 Neubeobachtungen pro Tag.
Während es für andere Faktoren der Umweltveränderung mit potenziell weitreichenden Folgen allerdings detaillierte Prognosen gibt, fehlen im Fall der Entwicklung der Zahl der Neobiota noch entsprechende Modellrechnungen. "Für Biodiversitätsschutz, Landnutzung oder natürlich den Klimawandel gibt es wissenschaftlich fundierte Szenarien. Bei der Erderwärmung wissen wir dank den IPCC-Berichten sehr genau, dass wir bei ambitionierten Handlungen die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränken können und dass sie im schlechtesten Fall jenseits von 4,5 Grad liegen wird", erklärt Essl. "Für Neobiota gibt es derartige Szenarien noch nicht, obwohl sich die Datenlage in den vergangenen Jahren stark verbessert hat."
Analyse der Zusammenhänge rund um eingeschleppte Arten
Wie kann man nun das Aufkommen von Neobiota "in die Zukunft rechnen"? Um entsprechende Modelle zu erstellen, werden zuerst die vorhandenen Zusammenhänge im Zuge einer sogenannten Parametrisierung eingehend analysiert, erklärt Essl. Das Wissen der Expertinnen und Experten, vorhandene Daten zu Verkehrs- und Warenströmen, Wirtschaftsstrukturen oder Klimaveränderungen einerseits und natürlich der bisherigen Anzahl beobachteter Bioinvasoren andererseits werden kombiniert, um den Status quo modellhaft zu erklären. "Um Zukunftsprognosen zu erstellen, werden im Modell nun diese Parameter, die die Anzahl der Neobiota beeinflussen, mit angenommenen Zukunftswerten ersetzt", veranschaulicht Essl. "Daraus errechnet sich also jene Anzahl von Bioinvasoren, die aus der künftigen Veränderung von Klima oder Wirtschafts- und Reiseaktivitäten folgt."
Eine Grundlage dieser Berechnungen ist die "Alien Species First Record Database", eine weltweite Datenbank zu Neobiota-Sichtungen mit bisher über 50.000 Einträgen, an deren Aufbau auch Essl selbst mitgearbeitet hat. Die Modelle sollen plausible Abschätzungen liefern, wie sich die Zahl der Bioinvasoren bis 2050 oder sogar 2100 entwickelt. In einer ersten Studie, die 2020 im Journal Global Change Biology veröffentlicht wurde, konnte Essl mit Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass die Anzahl von Bioinvasoren innerhalb von viereinhalb Jahrzehnten (2005 bis 2050) global gesehen voraussichtlich um 36 Prozent ansteigen wird. Die Datenbasis für die Modellerstellung und Validierung stammt dabei aus den Jahren 1950 bis 2005.
Europa Spitzenreiter von Neobiota
Die Studie gibt auch darüber Auskunft, wie unterschiedlich verschiedene Kontinente von eingeschleppten Arten betroffen sein werden: Europa ist hier Spitzenreiter mit einer Zunahme der Bioinvasoren zwischen 2005 und 2050 von 64 Prozent oder insgesamt 2.543 Spezies, gefolgt von den gemäßigten Zonen Asiens (50 Prozent / 1.391 Spezies) und Nordamerika (23 Prozent / 1.484 Spezies). Schlusslicht ist Australien mit einer Zunahme der Bioinvasoren von 16 Prozent oder 1.286 Spezies - der einzige Kontinent, für den eine Abflachung der Zuwachsraten vorhergesagt wird.
Diese Prognosen sollen eine erste Basis für ausführlichere Modellrechnungen sein, die beispielsweise auf verschiedene Regionen eingehen oder unterschiedlich starke Gegenmaßnahmen berücksichtigen. Auch die konkreten Folgen werden noch Gegenstand künftiger Studien sein. "Nur ein Teil der Invasoren verursacht, etwa als Schädling in der Landwirtschaft, auch wirtschaftliche Folgen", so Essls Einordnung dazu. "Angesichts der hohen Zuwachsraten ist aber dennoch mit beträchtlichen ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu rechnen."