Gebietsfremde Pflanzen wandern nach Norden
In Europa und Amerika stammen viele der dortigen gebietsfremden Pflanzenarten vom eigenen Kontinent. Sie haben ihren Ursprung meist in näher am Äquator gelegenen, wärmeren Regionen – ein Phänomen, das durch den Klimawandel noch verschärft werden könnte. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Konstanz und mit Beteiligung der Biodiversitätsforscher Franz Essl und Bernd Lenzner von der Universität Wien. Die Studie wurde aktuell in der renommierten Zeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Wenn Menschen Pflanzen- oder Tierarten über ihre natürlichen Verbreitungsgebiete hinaus ausbreiten, kann dies zu gravierenden ökologischen Folgen in den neubesiedelten Gebieten führen – beispielsweise indem heimische Arten durch die Neuankömmlinge verdrängt werden und bestehende Ökosysteme so aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Aus diesem ökologischen Schaden durch den Verlust der heimischen Artenvielfalt resultiert gleichzeitig ein immenser wirtschaftlicher Schaden, den der Weltbiodiversitätsrat in seinem aktuellen Bericht (2023) gerade auf mindestens 400 Milliarden Dollar (371 Milliarden Euro) bezifferte – und das pro Jahr.
Viele Menschen denken bei gebietsfremden Pflanzen oder Tieren zunächst an Arten aus Übersee, die beabsichtigt, aus wirtschaftlichem Interesse, oder als "blinde Passagiere" die Ozeane überqueren. Am Beispiel von Europa, Australien sowie Nord- und Südamerika zeigt ein internationales Forschungsteam um den Konstanzer Biologen Mark van Kleunen jedoch, dass diese nur einen Teil dieses Problems ausmachen. Denn in ihrer Studie in Science Advances konnten die Forscher*innen nachweisen, dass auf den betrachteten Kontinenten mehr als die Hälfte (57%) der gebietsfremden Pflanzenarten, die sich erfolgreich in neuen Gebieten angesiedelt haben, ursprünglich vom eigenen Kontinent stammten. Besonders hoch waren die Anteile in Europa und Nordamerika. Auffällig niedrig war der Anteil hingegen in Australien.
Wiederkehrende Muster in der Ausbreitung innerhalb eines Kontinents
Für Europa, Nord- und Südamerika – stellten die Wissenschafter*innen zudem Gemeinsamkeiten in den Ausbreitungsmustern fest: Die Ausbreitung innerhalb eines Kontinents erfolgte in der Mehrzahl der Fälle von den äquatornahen Regionen in Richtung der jeweiligen Pole. "Wir konnten in dieser Arbeit zeigen, dass nicht nur heimische Arten vermehrt nach Norden wandern, sondern auch gebietsfremde Arten von Menschen überwiegend nach Norden ausgebreitet werden", erläutert Franz Essl.
Die Wissenschafter*innen untersuchten in ihrer Studie außerdem, welche Rolle menschliche, klimatische und geographische Faktoren bei der intrakontinentalen Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen spielen. Sie zeigten, dass weite Distanzen und starke klimatische Unterschiede der Ausbreitung entgegenwirken. "Je näher ein Gebiet bei dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet einer Art liegt, und je ähnlicher das Klima ist, desto leichter fällt es gebietsfremden Arten sich anzusiedeln", fügt Bernd Lenzner hinzu.
Bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels schließen die Wissenschafter*innen aus ihren Ergebnissen, dass dieser die intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen beschleunigen wird. "Der sich beschleunigende Klimawandel wird zunehmend Wärme liebenden gebietsfremden Arten die Ansiedlung erlauben. Dies kann zu erheblichen negativen Folgen für die Artenvielfalt und Wirtschaft in den Empfängerregionen führen", so Essl.
Originalpublikation: Z. Zhang, Q. Yang, T. S. Fristoe, et al. (2023) The poleward naturalization of intracontinental alien plants. Science Advances
DOI: 10.1126/sciadv.adi1897
Faktenübersicht:
- Internationales Forschungsteam unter Konstanzer Leitung untersucht die intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen
- In Amerika und Europa erfolgt die intrakontinentale Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen zu einem Großteil aus äquatornahen Regionen in Richtung der nächstgelegenen Pole
- Der voranschreitende Klimawandel droht das Phänomen zu beschleunigen
- Funding: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Österreichischer Wissenschaftsfonds (FWF), Czech Science Foundation (GACR) und Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, China Scholarship Council (CSC), National Fund for Scientific and Technological Development (Fondecyt; Chile) und Young Scholar Fund der Universität Konstanz
Ähnliche Inhalte aus der Biodiversitätsforschung an der Universität Wien:
Biodiversitätsforscher*innen Anna Schertler und Franz Essl erforschen die biologische Invasion von parasitären Pilzen, um ihre Verbreitungswege in Zukunft besser abschätzen zu können. Lesen Sie mehr dazu im Artikel im Wissenschaftsmagazin Rudolphina der Universität Wien.
Invasive nicht-heimische Arten sind eine der Hauptursachen des weltweiten Artenverlusts und bedrohen die menschliche Lebensgrundlage und Gesundheit. Ein neuer Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES unter Beteiligung von Franz Essl und Bernd Lenzner von der Universität Wien fasst erstmals den aktuellen Stand der Forschung weltweit zusammen und beschreibt, welche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Lesen Sie mehr dazu hier.
Wissenschaftliche Kontakte
Assoz. Prof. Mag. Dr. Franz Essl
Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
Rennweg 14, 1030 Wien
Forschungsverbund Umwelt und Klima
Augasse 2-6, 1090 Wien
T +43-1-4277-54378
franz.essl@univie.ac.at
www.univie.ac.at
Bernd Lenzner, BSc MSc PhD
Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
Rennweg 14, 1030 Wien
bernd.lenzner@univie.ac.at
www.univie.ac.at
Rückfragehinweis
Theresa Bittermann
Media Relations, Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien
T +43-1-4277-17541
theresa.bittermann@univie.ac.at
Quelle
Universität Wien, Pressemitteilung vom 5. Oktober 2023