Was Ragweed so invasiv macht
Das aus Nordamerika eingeschleppte Ragweed ist mittlerweile fast überall in Europa zu finden. Warum sich die hochallergene Pflanze so gut ausbreiten konnte, hat laut einer neuen Erbgutanalyse mehrere Gründe – etwa die Kreuzung mit verwandten Pflanzenarten in Europa sowie das Fehlen effektiver Krankheitserreger und Fressfeinde.
Die heurige Ragweed-Saison ist gerade in vollem Gange. Das merken vor allem Pollenallergiker, denn die auch als „Fetzenkraut“ oder „Ambrosia“ bekannte Pflanze kann bei empfindlichen Menschen starke allergische Reaktionen auslösen. Mehr als 33 Mio. Menschen leiden in Europa an einer Ragweed-Allergie. Durch die steigenden Temperaturen und die damit einhergehende weitere Ausbreitung der Pflanze könnten es bis zum Jahr 2060 sogar 77 Mio. sein.
Aus Nordamerika eingeschleppt
Heimisch ist Ragweed in Europa eigentlich nicht. Erst durch den internationalen Handel und globalen Austausch wurde die Pflanze gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf den Kontinent gebracht. „Sehr viele Samen wurden zum Beispiel während des Ersten Weltkriegs nach Europa verschifft, denn sie waren unter anderem in kontaminiertem Pferdefutter enthalten", erklärt die Bioinformatikerin Vanessa Bieker von der norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) gegenüber science.ORF.at.
650 Pflanzen untersucht
An Ragweed besonders sei, dass es sich in Europa schnell und gut etablieren und im Laufe der Zeit stark ausbreiten konnte. Nicht allen Pflanzen gelingt das, erklärt Bieker: „Viele Arten, die in eine neue Umgebung eingeschleppt werden, können mit den dortigen Temperaturen oder Fressfeinden nicht umgehen und verschwinden schnell wieder.“ Bei Ragweed war das nicht der Fall, wie auch die vielen in Österreich wachsenden Pflanzen beweisen.
Warum Ragweed in Europa so gut Fuß fassen konnte, hat Bieker nun mit einem internationalen Team genauer unter die Lupe genommen. Dazu sammelten die Forscherinnen und Forscher über 650 Proben der Pflanze aus unterschiedlichen Regionen der Welt. Die Proben stammten dabei sowohl aus frischen Pflanzen als auch aus getrocknetem Ragweed, das bis zu 190 Jahre alt war.
In der Studie, die die Fachleute aktuell im Fachjournal „Science Advances“ präsentieren, haben sie die genetische Zusammensetzung der europäischen Pflanzen mit dem ursprünglichen Ragweed aus Nordamerika verglichen. Dass sich die Pflanzenart in Europa so gut etablieren konnte, hat laut Bieker mehrere Gründe.
Genetische Anpassung
Einerseits liege es an den genetisch zum Teil verschiedenen Ragweed-Pflanzen, die nach Europa eingeführt wurden. Bieker: „Es sind viele unterschiedliche Pflanzen, die zwar verwandt waren, aber genetisch doch ein bisschen unterschiedlich, aus Nordamerika gekommen.“ In Europa haben sich diese Pflanzen laut der Bioinformatikerin dann so gut vermischt, dass sie von Beginn an eine große Auswahl aus unterschiedlichen Genen zur Verfügung hatten, mit denen sie sich an die Verhältnisse in Europa anpassen konnten.
Andererseits habe alleine schon die große Menge an eingeschleppten Pflanzensamen bei der Ausbreitung in Europa geholfen. Bieker: „Es sind im Laufe der Zeit sehr viele Ragweed-Samen aus Nordamerika eingeführt worden – sie konnten sich also gut untereinander vermehren.“ Auch schon lange zuvor nach Europa eingeführte Arten, die mit dem gemeinen Ragweed aus Nordamerika verwandt sind, dienten den Pflanzen als Bestäubungspartner und sorgten dafür, dass Ragweed in Europa Fuß fassen konnte.
Weniger Fressfeinde und Krankheitserreger
Ein weiterer möglicher Grund für die starke Ausbreitung von Ragweed liegt laut den Forscherinnen und Forschern in den natürlichen Fressfeinden und Krankheitserregern der Pflanze. Konkrete genetische Unterschiede des europäischen Ragweeds zur ursprünglichen Pflanze stellte das Team unter anderem bei jenen Genen fest, die für ihre Abwehr verantwortlich sind. Bieker: „Das könnte daran liegen, dass die Fressfeinde und Krankheitserreger in Europa weniger effektiv gegen Ragweed sind.“
Dort, wo eine Pflanzenart heimisch ist, können sich im Normalfall auch ihre natürlichen Feinde weiterentwickeln und anpassen und so eine extreme Ausbreitung verhindern. In Europa war das – so die Theorie der Forscherinnen und Forscher – aber nicht der Fall. Das Ragweed konnte sich daher wahrscheinlich relativ ungestört vermehren.
Werden auch Ragweed-Käfer invasiv?
Wie sehr die weniger effektiven Fressfeinde aber tatsächlich für die Ausbreitung von Ragweed in Europa verantwortlich sind, möchte Bieker in weiterführenden Studien genauer klären. Dass es einen Zusammenhang gibt, ist für die Bioinformatikerin aber sehr wahrscheinlich. Sie erklärt: „Es gibt zum Beispiel Berichte, dass es in der Schweiz immer mehr ‚Ragweed-Käfer‘ gibt, die auch vermutlich irgendwann unabsichtlich eingeführt wurden, aber jetzt die Ragweed-Bestände am weiteren Ausbreiten hindern.“ Ein mögliches Problem, das damit einhergeht: Auch die Ragweed-Käfer könnten sich laut Bieker zu einer invasiven Art entwickeln – Futter finden sie dafür in Europa genug.
Tipp: Vogelfutter auf Samen untersuchen
Die Ragweed-Invasion in Europa effektiv und nachhaltig zu bekämpfen, ist laut Bieker kaum noch möglich. Um der Ausbreitung der Pflanzen aber zumindest ein bisschen entgegenzuwirken, rät die Bioinformatikerin vor allem Privatpersonen, Blumensamen und Vogelfutter auf kleine Ragweed-Samen zu untersuchen, die darin eventuell unbeabsichtigt enthalten sind. „Man kann die Samen zum Beispiel sieben – die kleineren Ragweed-Samen können so recht gut vom Rest getrennt werden“, so Bieker.