Mögliche Geburtenkontrolle für invasive Fischart
Der Koboldkärpfling hat sich mit seinem Appetit auf Stechmückenlarven jahrzehntelang als sehr nützlich bei der Bekämpfung der möglichen Krankheitsüberträgern erwiesen. Als eine der invasivsten Fischarten weltweit ist der Süßwasserfisch aber zur Plage geworden. Ein Forschungsteam hat nun einen möglichen Weg zur Geburtenkontrolle gefunden.
Der Koboldkärpfling bzw. Westlicher Moskitofisch (Gambusia affinis) ist in Europa laut Umweltbundesamt vor allem in Italien etabliert; in Österreich sind für die Spezies die Winter noch zu kalt, um sich auszubreiten. Der Süßwasserfisch, der weltweit zur Bekämpfung von Stechmücken und Moskitos durch den Menschen ausgesetzt wurde und heute auf der EU-Liste invasiver Arten („Unionsliste“) geführt wird, gilt als Modell für die Evolution von Geschlechtschromosomen. „Die Geschlechtschromosomen sind gerade bei Fischen sehr wandlungsfähig“, sagte Evolutionsbiologin Dunja Lamatsch.
So sind etwa die Weibchen des Östlichen Moskitofischs (Gambusia holbrooki), der nächste Verwandte des Koboldkärpflings, durch zwei X-Chromosomen (XX) und die Männchen durch ein X- und ein kleineres Y-Chromosom (XY) gekennzeichnet – wie beim Menschen. Beim Koboldkärpfling hingegen ist ein „Z/W“-System auf einem anderen Erbgutträger geschlechtsbestimmend: Die Weibchen kennzeichnet ein Z- und ein W-Chromosom (ZW), die Männchen zwei Z-Chromosomen (ZZ). „Diese beiden Arten haben sich erst vor zwei bis sieben Mio. Jahren getrennt, was evolutionär sehr jung ist. Hier kann man also Evolution in Aktion sehen und ihre Entwicklung nachzeichnen“, so die Forscherin vom Mondseer Forschungsinstitut für Limnologie der Uni Innsbruck.
Unabsehbare Folgen
In einer aktuellen Untersuchung konnte die Forscherin mit internationalen Kollegen das W-Chromosom des Koboldkärpflings decodieren. Es ist damit nun in seiner genetischen Bauanleitung lesbar, wie sie kürzlich im Fachblatt „BMC Biology“ berichtet haben.
„Beide Moskitofischarten, Gambusia holbrooki wie auch Gambusia affinis, haben sich zu äußerst invasiven Arten entwickelt. Es handelt sich um relativ kleine Fische, die auch relativ aggressiv sind – sie fressen quasi alles, was ihnen unterkommt“, so Lamatsch. So haben sie sich auch zunehmend den Laich von Amphibien oder anderen Fischen einverleibt und somit andere heimische, mitunter seltene Tierarten bedroht. Das Aussetzen der Fische durch den Menschen seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts habe Folgen gehabt, wie sie zunächst nicht überblickbar waren – „wie Schach in zehn Ebenen“. So sucht man heute nach Möglichkeiten, sie in Habitaten, wo sie nicht hingehören, wieder auszurotten.
Gene ausschalten
Eine Idee ist nun, die genetische „Wundertechnik“, die Genschere CRISPR/Cas9, anzusetzen und gewisse Gene auszuschalten, „sodass etwa die Weibchen keine Weibchen mehr sind und sich nicht mehr fortpflanzen“, so die Forscherin. Es gebe aber auch schon vielversprechende Forschungsergebnisse, die zeigten, dass man mit CRISPR/Cas9 ganze Chromosomen ausschalten kann. Auch wenn das noch Zukunftsmusik sei, böte das neue Wissen über das „W“ beim Koboldkärpfling hier neue Möglichkeiten. „Wenn das W nicht mehr funktional ist, würden sich bei der Fortpflanzung der Fische nur noch Männchen ausbilden und dann könnte sich die Population nicht mehr fortpflanzen. Das würde vermeiden, dass man mit einer neu ausgesetzten Art, die sich gegen die invasiven Fischarten richtet, den nächsten Fehler macht“, so Lamatsch.
Hormonelle Behandlung
In einer früheren Studie aus dem Jahr 2015 hatte sich Lamatsch mit Kollegen bereits mit einem ähnlichen Ansatz befasst: Damals war die Idee, die Fische hormonell so zu behandeln, dass im Rahmen der Fortpflanzung nur noch ein Geschlecht (Männchen) produziert und über diesen Überschuss die Grundlage für die weitere Ausbreitung zerstört würde, wie es bei anderen Tierarten schon erfolgreich erprobt wurde.
Das erwies sich aber als nicht praktikabel aufgrund der geringen Lebenserwartung der hormonell behandelten Weibchen. Auch hätte man viele Tausende der Hormonfische aussetzen müssen, um entsprechende Effekte zu erzielen, wie Modellrechnungen der Kollegen aus Neuseeland ergaben – ein zu hohes Belastungsrisiko für die Gewässer, wie die Forscher damals befanden. „Auch wenn es von der Theorie her ein geniales Prinzip wäre“, so Lamatsch.
Keine Fressfeinde
Die Ansätze mit dem Ziel, die Invasion der Fische zu stoppen, mögen bisweilen wild klingen, sind rechtlich jedoch im Bereich des Möglichen. „Für invasive Arten gelten andere Regelungen als für nicht-invasive oder gar geschützte Arten“, erläutert Lamatsch, für die vor allem die genetische Wandlungsfähigkeit der Fische, auch mit Blick auf ihre Geschlechtschromosomen, das große Faszinosum ist.
Die Forscher und Forscherinnen streben nun Vorversuche an, um das Eingreifen in den Chromosomenhaushalt bei den Koboldkärpflingen mittels CRISPR/Cas9 zu testen. In Mexiko, wo die Koboldkärpflinge ursprünglich beheimatet sind, besteht noch ein Gleichgewicht mit den Fressfeinden. „In standortfremden Regionen haben sie aber keine Fressfeinde, keine Viren oder Bakterien, die sie bekämpfen müssen. Dadurch können sie sich enorm vermehren“, so Lamatsch.
Quelle
Science ORF vom 14. August 2023 (letzter Zugriff am 21.08.2023)